Th-Blume

Über die Geduld der Hände

In „Macht und Masse“ geht Elias Canetti vom Ergreifen als dem Akt der Macht aus und stellt fest, daß die wahre Größe der Hände in ihrer Geduld liege: „Die ruhigen, die verlangsamten Prozesse der Hände haben die Welt geschaffen, in der wir leben möchten.“

Dieses Bild führt zu der Arbeit des Gold- und Silberschmieds Thore Blume. Seine Hände sind Instrumente einer besonderen, persönlichen Sensibilität und scheinen zu wissen, wie das Werkstück, der Schmuck oder das Gerät, auszusehen hat, wobei Form und Funktion in einem lebendigen Wechsel begriffen sind. Entsteht die Form aus der Funktion, wird das Werkstück ein Gerät, wird die Funktion aus der Form entwickelt, entsteht ein Schmuckstück.

Dabei arbeiten die Hände nicht eigenständig, vielmehr suchen sie den Dialog mit den Augen. Beide sind im Austausch mit dem Denken und dem Gedächtnis.

„Die Kultur des Denkens setzt eine tatsächliche Kultur der Hand voraus, einen Umgang mit der Hand als einem subtilen, sensitiven Organ, wenn die Hand sich nur entfalten darf, wenn sie nicht nur arbeitet, sondern auch spielt, wenn sie Wahrnehmungen erfühlt, wird sich auch der Geist freier entfalten. Die Plastik der Hand ist die Plastik des Denkens. Der Begriff ist das Begriffene.“ (Otl Aicher, Robert Kuhn).

Schmieden ist eine körperliche Arbeit. Der Hammer klopft, der Punzen treibt und formt, ein rhythmischer Vorgang bis das Material sich in eine beseelte Form verwandelt. Bei der Herstellung von Schmuck werden Gold und Silber mit Edelsteinen konfrontiert. Ihre magische Vergangenheit ist bekannt. Ihre faszinierende Wirkung verleiht ihnen bis heute einen auratischen Charakter und läßt sie zu visuellen Metaphern werden:

Der Turmalin leuchtet in allen erdenklichen Farben, je nach den Metallen, die in ihm eingeschlossen sind. Eine besondere Eigenschaft der Berylle ist ihre erstaunliche Klarheit. Der Opal gilt als der geheimnisvollste Edelstein. Es scheint, als ob sich in ihm noch einmal das Rätsel der Farbschöpfung wiederholt. Diese visuellen Metaphern garantieren eine rege Kommunikation mit den Trägerinnen des Schmuckes.

Im Jahre 1856, zwei Jahre vor Gründung der Gold – und Silberschmiede Th. Blume in Hildesheim, hielt der Architekt und Kunsthistoriker Gottfried Semper einen Vortrag über die formale Gesetzmäßigkeit des Schmucks und dessen Bedeutung als Kunstsymbol, der heute noch lesenswert ist. Er unterteilt Schmuck in

  1. Behang, der an die Symmetrie geküpft ist, z.B. Ohrringe,
  2. Ringschmuck, der das Proportionale des Körpers hervorhebe und
  3. Richtungsschmuck, der die Bewegung des Körpers betone, wie z.B. die Fibel.

Aus der Vielfalt der Materialien, Formen und Oberflächen-qualitäten entstehen Hals – und Armreife, Ketten, Fibeln und Ringe. Dabei spielt die Oberflächenqualität eine große Rolle. Der Glanz erzeugt Reflexionen, die die Werkstücke schwerelos erscheinen lassen und den Eindruck einer selbstleuchtenden Figur erzeugen. So öffnet der Glanz die Strenge der Form und führt sie in eine Leichtigkeit. Die Arbeit des Schmieds wird erst beim Nachdenken deutlich, gemäß der Auffassung, daß die am tiefsten wirkende Technik unmerklich bleiben muß, wie Paul Valéry bemerkt, „die guten Maschinen machen kein Geräusch.“

Dies trifft auch auf die Arbeit des Silberschmieds zu. Wir erfahren zwar die Schönheit einer Kanne: Ich sehe und berühre sie. Wenn sie leer ist, fülle ich sie, ich nehme sie an dem gebogenen Henkel, hebe sie hoch, neige sie über dem Becher und gieße. Das Betrachten läuft nebenher. Die Kanne dient dazu, zu trinken zu geben.

Sie unterscheidet sich von den Derivaten industriell gefertigter Gebrauchsgegenstände, die meist eine Karikatur, selten eine geglückte Kopie sind. Sie zeichnen sich durch ein Minimum an Gegenwärtigkeit aus, als Form verschwinden sie. Dagegen weisen die Werkstücke des Gold- und Silberschmieds seine Fingerabdrücke auf: Ein lebendiger Austausch zwischen Schönheit und Nützlichkeit findet statt, der Gefallen bewirkt. Da ist die Form der Kanne: Körper, Ausguß, Henkel und Deckel. Die Funktionen werden in eine Gesamtform integriert. Die Arbeitsspuren können beseitigt werden oder bleiben durch grobe Feilung stehen. Das Walzen, der Hammerschlag bleiben als sicht-bare Zeichen der Kräfte, die auf das Silberblech einwirkten, stehen oder werden wegpoliert. Der aufwendige Prozeß der Herstellung des Silbergerätes, die eine unendliche Geduld der Hände erforderte, ist spürbar. Das industrielle Design trachtet nach Unpersönlichkeit. Es ist der Alleinherrschaft der Funktion unterworfen und sein Aussehen beruht auf dieser Unterwerfung. Das Silbergerät aus der Hand Thore Blumes hat eine Aura, die aus einer Überschreitung von Normen und Gewohnheiten herrührt, man könnte sie auch Stil oder persönliche Handschrift nennen. Sie läßt hoffen, daß auch in Zukunft sich dieses Kunsthandwerk gegen die industrielle Fertigung behaupten kann.

Dazu sind moderne Kooperationen notwendig, wie sie die Gold– und Silberschmiede Thore Blume mit der Silbermanufaktur Koch & Bergfeld Corpus in Bremen eingeht. Schon jetzt sind aus dieser Zusammenarbeit bemerkenswerte Arbeiten entstanden, wie die Fertigung von Schiffsmodellen im Maßstab 1: 500 nach den originalen Werftzeichnungen.

Die 150 jährige Geschichte der Gold– und Silberschmiede zeichnet sich durch Kontinuität aus, die auf der Fertigkeit und dem Handwerk gründet, das ein Erschaffen in Leichtigkeit ist. Für die Zukunft wird nun die fünfte Generation sorgen.

Text: Jörg Henning Kokott